Die Musikgemeinschaft im Amphitheater Ephesus

Anfängliches Zittern geht in Wohlgefallen über. Verdis Requiem von den tausenden Besuchern bestens angenommen. Frenetischer Beifall war der Lohn - Heftige Windböe verweht Partitur

Es war für Dirigent Armin Klaes und den wieder veranstaltenden Lionsclub Kusadasi auch deshalb ein Wagnis, weil die Carmina Burana auch in der Türkei wegen ihrer zündenden Rhythmik und Gestaltung sowie Verwendung in Film wie Werbung sehr populär war und man in diesem Jahr nicht abschätzen konnte, ob auch Verdis Requiem vom Publikum ähnlich begeistert aufgenommen würde. Aber zur großen Erleichterung der Beteiligten: Es klappte alles perfekt.

Trotz der anspruchsvollen musikalischen Kost Verdi-Requiem kamen wieder gegen 10 000 Zuhörer mit unzähligen Bussen und Autos aus Kusadasi und der großen Urlauberregion zwischen Bodrum und Izmir nach Ephesus, um hier das Konzert der Musikgemeinschaft Marl und damit die große und aufwühlende Musik zu hören, die in beiden Ländern wie in der ganzen Welt verstanden und geliebt wird. Dementsprechend kamen mehr als die Hälfte der Zuhörer aus dem Ausland. Viele Deutsche, aber auch viele Amerikaner und Asiaten nutzten die Gelegenheit, hier ein Konzert zu erleben.

Das Konzert war musikalisch von großer Qualität und fand frenetischen Beifall beim Publikum, allen Beteiligten fielen ganze Berge von Sorgen von den Schultern, denn noch die Generalprobe am Tag vorher ließ große Bedenken zurück, so Dirigent Armin Klaes in der Rückschau. Wegen Umbauarbeiten an den Stromleitungen stand nur äußerst unzureichend Licht zur Verfügung, der Chor hatte viel zu wenig Platz auf seinem Podest, vor allem konnten die Chorsänger das Orchester und die anderen Chormitglieder kaum hören. Bis zum nächsten Tag aber wurden in einer großen Anstrengung ein eigener Stromgenerator beschafft, aus dem Hotel zusätzliche Chorpodeste entliehen und angeliefert, auch das Orchester besser aufgebaut.

Und tatsächlich, das Konzert begann wunderbar, der Chor konnte befreit singen, weil man sich untereinander hören konnte, dank Licht und mehr Platz konnten die Noten erkannt werden, doch nach wenigen Takten stockte allen der Atem: Plötzlich fegte eine heftige Windböe quer über die Bühne, viele Noten klappten um, die Partitur von Armin Klaes blätterte um Dutzende Seiten weiter.

Die Orchesterspieler konnten sich durch Maßnahmen wie zusätzliche Wäscheklammern helfen, für Klaes war es aussichtslos, zurückzublättern, denn sofort blätterte es durch den Wind wieder zurück, er dirigierte den ersten Teil des Konzerts einfach auswendig weiter. Danach reichte ihm der Tenor-Solist Tevfik Rodos seine Wasserflasche, mit deren Hilfe und vielen Wäscheklammern die Partitur einigermaßen zu bändigen war.

So war das Konzert letztlich von den äußeren Bedingungen in keiner Weise beeinträchtigt, verlangte aber allen Beteiligten ein hohes Maß sowohl an Geduld wie Improvisation und Engagement ab, aber welche Ehre und welches Erlebnis, an dieser Stelle ein Konzert vor so einem Publikum und mit solch einem hochrangigen Musikwerk gestalten zu können. Darum flogen alle nach verschiedenen Besichtigungsfahrten und einem Abend mit offenem Chorgesang im hoteleigenen Amphitheater - im Hintergrund der leise Wellenschlag des Mittelmeeres, über allem der Mond und der Abendstern -, beseelt von unvergesslichen musikalischen Gemeinschaftserlebnissen nach Deutschland zurück - bis zum nächsten Mal.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 12.11.2005


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