Marler Zeitung vom 23.06.2015
Hypnotisches Freiheitsoratorium
Musikgemeinschaft führte den Canto General im Theater auf
Von Stefan Pieper
MARL.
Der griechische Komponist Mikis Theodorakis und
der chilenische Schriftsteller Pablo Neruda fühlten sich seelenverwandt.
Schließlich teilen sich Griechenland und Chile eine Geschichte von
Diktatur, aber auch glühendem Freiheitskampf, der vom Volke ausgeht.
Jetzt hat sich die Marler Musikgemeinschaft um eine glanzvolle
Aufführung des "Canto General" mit Musik von Theodorakis zu Nerudas
Texten verdient gemacht, ein musikalisches Statement für Solidarität und
Brüderlichkeit, das 1975 uraufgeführt wurde. Am Samstag waren sogar
viele Interessierte von weither nach Marl angereist, nachdem die
Nachricht von einer Aufführung des "Canto" die Runde gemacht hatte.
Dieser "Canto" ist zwar ein Oratorium - aber dieses besingt nicht das
Jenseits, sondern den Willen zum unmittelbaren Leben und Wirken im Hier
und Jetzt. Dafür idealtypisch steht hier die mit ganz vielen Metaphern
aus einem magischen Realismus gesättigte Geschichte der Völker in
Südamerika. Solche Botschaften macht die Aufführung im Theater Marl
hautnah spürbar. Hinzu kommen zwei eingestreute - von Wolfgang Endrös
gelesene - literarische Texte zur Vertiefung. Und es wirkt hier die
Macht der Musik, wenn man sie nur mit genug Enthusiasmus und Herzblut zu
entfalten weiß! Dies gelingt der Marler Musikgemeinschaft bravourös:
Motorisch drängen die Rhythmen nach vorn, unablässig und suggestiv.
Allein acht Kesselpauken nebst vielen anderen Schlaginstrumenten gehören
zum Apparat der MusikWerkStadt Marl. Der Chor unter Wolfgang Endrös
Leitung braucht an diesem Konzertabend im Theater Marl keine kunstvollen
Fugen singen. Stattdessen vereinen sich die Stimmen oft in breitem
Unisonoklang und langen, pathetischen Bögen, die gerade durch ihre
häufigen Wiederholungen so hypnotisch wirken. Die harmonischen Farben
sind oft latent eingefärbt durch lithurgisch-orthodoxe Musik. Absolut
treffsicher nimmt sich auch das Gesangsduo seiner Aufgabe an: Rebecca
Engel, Mezzosopran, legt hier viel von sonstiger "klassischer"
Gesangstechnik ab, um dafür umso mehr direkter wirkende Eindringlichkeit
in ihrer Stimme zu erzeugen. Nicht minder charismatisch artikuliert René
Aguilar, Tenor die Stimme von unterdrückten, zugleich aufbegehrenden
Völkern.
Jubelrufe, Beifallsstürme, von den Sitzen aufspringendes
Publikum waren am Ende der über zweistündigen Aufführung die logische
Konsequenz. Noch einmal hob Dirigent Wolfgang Endrös den Taktstock für
den Schlusschor, der die ganze Berge versetzende Kraft dieser
"Revolutionsmusik" auf den Höhepunkt zusteuerte: "Heute wird es dir
gelingen, aufzurütteln die Tore."
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