Quelle: Marler Zeitung/Medienhaus Bauer, 19.01.2016
Konzert der Musikgemeinschaft
Wolfgang Endrös und die Aufziehpuppe
Von Stefan Pieper
MARL.
Die Musikgemeinschaft unter Wolfgang Endrös'
Leitung denkt an ihr Publikum. Konzerte vermitteln auch sinnliche
Erfahrungen. Beim jüngsten Konzert, das in den Gefilden von Oper,
Operette und Musical weilte, wurde auch der Showaspekt ganz groß
geschrieben: Vor allem die Sopranistin Charlotte Schäfer drehte auf der
Bühne richtig auf! Das Ewig-Weibliche steht hier im Vordergrund.
Operetten-Ouvertüren und Johann-Strauss-Walzer malen im Theater ein
passendes Kolorit. In George Bizets Carmen-Suite nimmt das Orchester
Fahrt auf - vor allem die Solobläser der Musikgemeinschaft, allen voran
Oboistin Claudia Schoppmann, malen immer wieder leuchtende melodiöse
Bögen.
Charlotte Schäfer, die unlängst schon bei der Musikgemeinschaft
auf der Bühne stand, meistert danach mit einem Konzert von Reinhold
Gliere eine echte Herausforderung. Das russisch-spätromantische, oft
stark an Tschaikowsky erinnernde Stück verbindet romantische Melancholie
mit akrobatischen - und im TM nicht immer unangestrengt wirkenden - Koloraturparts.
Richtig spannend wird es danach. Was geht hier vor?
Wolfgang Endrös trägt eine 'Aufziehpuppe' auf die Bühne, die er dann mit
einer 'Fernbedienung' zum Leben erweckt. Das ist Charlotte Schäfer,
diesmal in der Rolle der 'Olympia' aus Jacques Offenbachs 'Hoffmanns
Erzählungen'. Charlotte Schäfer gibt jetzt alles: Gesichtsausdruck und
eine Gestik, die an alte Tanzfiguren aus früheren Jahrhunderten erinnert
und erstarrte Posen, wenn sie die 'Puppe' markiert. All dies beschert
der Marler Musikgemeinschaft eine komödiantisch-szenische Aufführung im
besten Sinne. Charlotte Schäfers Gesang ist nicht minder großes Kino:
Heitere Intervallsprünge muten wie Freudenhüpfer an. Es ist ein einziges
Jauchzen und Jubilieren, das schließlich im Abwärtsglissando verebbt -
als die Puppe wieder neu aufgezogen werden muss.
Im fliegenden Wechsel
tauscht Charlotte Schäfer ihr Bühnenoutfit für eine ganz andere Rolle:
Nicht so komödiantisch, eher dramatisch und ganz in Rot gekleidet
suggeriert sie Tragik auf dem schmalen Grat zur Tragikomik.
Tränenausbrüche schlagen filmreif in Heiterkeit um. Und all das kann sie
auch mit ihrem beweglichen Koloratursopran bestens umsetzen. Bei so viel
mitreißender Bühnenpräsenz ist es fast eine logische Konsequenz, dass
das Orchester längst zu temperamentvoller Höchstform aufgelaufen ist.
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